Der finstere Einfluss der Grauen Wölfe




Heidelberg. Die Botschaft ließ wenig Zweifel übrig. Ein Foto, eine Hand voller Patronen. Dazu der Satz, auf Türkisch: „Der Tod wird dich finden.“ Erhalten hat die Drohung Gökay Akbulut, Mannheimer Linke-Abgeordnete mit türkischen Wurzeln, über soziale Netzwerke. Der Absender verwendet als Bild das Porträt eines berüchtigten Auftragsmörders eines türkischen Geheimdienstes – und dessen Tarnnamen. Im Januar folgte eine weitere Botschaft an Akbulut – ein Kommentar unter einem Beitrag, mit dem Linksabgeordnete ihre Solidarität mit inhaftierten Abgeordneten der prokurdischen HDP in der Türkei ausdrückten. Gleiches Profil, gleiche Warnung: „Der Tod wird dich finden.“

Das Beispiel zeigt, wie stark die Auseinandersetzung in der Türkei auf Deutschland ausstrahlt. „Je aggressiver die Situation ist, desto mehr häufen sich solche Fälle“, sagt Akbulut. Tatsächlich können viele türkisch-deutsche Politiker ähnliches berichten. „Hasspostings gehören für mich leider zum Tagesgeschäft“, sagt der Stuttgarter Abgeordnete und ehemalige Grünen-Chef Cem Özdemir. Wer die türkische Regierung kritisiere oder sich für Minderheiten in der Türkei starkmache, erhalte regelmäßig Drohungen.

Das rückt eine Gruppe besonders in den Fokus: die „Grauen Wölfe“. Gemeint sind die Anhänger der „Ülkücü“-Bewegung („Idealisten“), eine rechtsextreme Strömung, die in der Türkei für zahlreiche politische Morde verantwortlich gemacht wird. Ihr politischer Arm ist die ultranationalistische MHP, die im Parlament in Ankara derzeit dem Präsidenten Erdogan die Mehrheit sichert. Erkennungszeichen der Szene sind unter anderem ein stilisierter heulender Wolf sowie dazu passend der „Wolfsgruß“: Die Geste, die dem aus Kitas bekannten Handzeichen „Schweigefuchs“ ähnelt, ist in Österreich seit 2019 verboten.

Deutsche Ableger sind die „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland“ (ADÜTDF) und „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa“ (ATIB). Beiden wird vorgeworfen, nationalistische Propaganda zu betreiben, besonders in der Jugendarbeit, bei Konzerten oder Freizeiten. „Die ADÜTDF ist entgegen ihrem nach außen demonstrierten Integrationswillen und legalistischen Auftreten überzeugt von der Überlegenheit des Türkentums“, heißt es im aktuellen Bundesverfassungsschutzbericht. Anhänger träumten vom homogenen Großreich „Turan“ vom Balkan bis China. Andere Völker oder Religionen würden nach einem „ausgeprägten Freund-Feind-Denken“ systematisch abgewertet. Und: „Antisemitismus ist ein Wesensmerkmal der Ülkücü-Bewegung.“

Bundesweit haben ADÜTDF und ATIB rund 9000 Mitglieder; Baden-Württemberg gilt als einer der Schwerpunkte. Dass beide Vereine vom Verfassungsschutz beobachtet werden, reicht vielen nicht. Nachdem Frankreich ein Verbot der Bewegung angekündigt hat, haben alle Fraktionen im Bundestag eine Forderung an die Bundesregierung beschlossen, dies auch zu prüfen.

„Den Grauen Wölfen geht’s weder darum, die Sprache noch Religion noch die Kultur zu pflegen. Sie wollen einem faschistoiden Pantürkismus das Wort reden“, sagte Özdemir im Bundestag. „Es muss ein Ende haben, dass unsere Jugendlichen auf Seminaren dieser Organisation einer systematischen Gehirnwäsche unterzogen werden.“ So sollen auch in angeschlossenen Fußballvereinen Jugendliche nationalistisch beeinflusst werden, wie Aussteiger berichten.

Dabei geben sich die Dachverbände betont tolerant und grundgesetztreu. „Die ATIB organisiert Maßnahmen und Initiativen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung“, heißt es in einer Selbstbeschreibung. Ein Vertreter der ATIB ist Vizevorsitzender im Zentralrat der Muslime. Der verwahrte sich denn auch gegen die Verbotsforderung: ATIB werde sich „trotz der Haltlosigkeit der Vorwürfe“ einer sachlichen und fairen Diskussion stellen, teilte der Zentralrat im November mit.

Kritiker überzeugt das nicht. „Die sagen, was der Rechtsstaat hören will“, sagt der Heidelberger Anwalt Memet Kilic, „Aber die Praxis ist eine ganz andere“. Womöglich falle manchen auch gar nicht mehr auf, dass sie zu Kurden oder Alewiten rassistisch seien – „weil es für sie so normal ist“, so der Vorsitzende des Bundesintegrationsrates, selbst Alewit.

„Im Kern handelt es sich bei den Grauen Wölfen um eine faschistische Bewegung“, sagt auch der FDP-Abgeordnete Till Mansmann aus dem Wahlkreis Bergstraße. Als Vizepräsident im Deutsch-Armenischen Forum hat er miterlebt, wie sich rund um den Bergkarabachkrieg Drohungen gegen Armenier hierzulande häuften. „Wir sind mit Verbotsanträgen nicht schnell“, sagt der Liberale. „Aber es ist ein Ausmaß erreicht, das es notwendig macht. Wir dürfen uns da nicht weiter wegducken.“

Genau das aber werfen Kritiker der Regierung vor. „Was ist die wehrhafte Demokratie, wenn wir solchen Leuten keinen Einhalt gebieten?“, fragt Kilic. „Türkischer Rassismus ist OK, solange es keine deutschen Rassisten sind?“ Die Regierung glänze „in der Causa Graue Wölfe durch Abwesenheit“, bemängelt auch Özdemir. „Es mangelt in den Behörden an Ressourcen und Experten, die die Szene wirklich kennen.“

Die Bundesregierung hält sich maximal bedeckt. „Zu etwaigen Verbotsüberlegungen äußert sich das Bundesinnenministerium grundsätzlich nicht“, erklärt ein Sprecher. „Unabhängig davon, ob dazu im Einzelfall Anlass besteht.“


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