Erklärung von Mytilini
Die Unterzeichner der Mytilini Erklärung treten ein für den würdevollen Umgang mit allen vermissten und verstorbenen Migranten und ihren Familien.
Erklärung von Mytilini
Wir anerkennen das naturgegebene Recht auf Leben und „… die Bedeutung der Achtung und Gewährleistung des Rechts auf Wahrheit als Beitrag zur Beendigung von Straflosigkeit und zur Förderung und Wahrung der Menschenrechte“
und dass „… Menschen das Recht haben, ihre Identität über den Tod hinaus zu behalten …” und rufen die Staaten dazu auf, alle Menschen gleich zu behandeln, ungeachtet von Rasse, Nationalität, Geschlecht, Geschlechtsidentität oder Ausdruck der Geschlechtlichkeit, sexueller Orientierung/Identität, Religion, Alter, Fähigkeiten und Fertigkeiten oder eines sonstigen Status, und in Übereinstimmung mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen und Pflichten:
A.
- Schutzsuchenden eine sichere Passage zu ermöglichen,
- alles zu unterlassen, was zu einer Zurückweisung führen kann,
- die Einhaltung von Abkommen über die Suche und Rettung von Migranten, einschließlich derer, die vermisst werden, zu fördern,
- im Rahmen legitimer humanitärer Such- und Rettungsaktionen und der Unterstützung von Migranten mit Opfern, Familien, Familienverbänden und der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten und sie weder zu behindern noch strafrechtlich zu verfolgen,
- alle Toten zu bergen, zu untersuchen und zu erhalten,
- die Körper der Toten mit Respekt zu behandeln und eine von der Bergung eines Leichnams bis zu seiner letzten Ruhestätte lückenlose Kontrolle zu garantieren,
- alle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Toten zu identifizieren und die Todesursache und -umstände festzustellen,
- zweckgemäße Untersuchungen durchzuführen, die Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit und Entschädigungen sicherstellen,
- Informationen und genetische Daten biologischer Angehöriger aller vermissten Migranten vor dem Tode und Informationen über die Bergung aller nicht identifizierten sterblichen Überreste, auch der DNA Verstorbener, nach dem Tode, zu erheben und aufzubewahren,alle persönlichen Gegenstände der Toten aufzubewahren und den Familien zurückzugeben,
- den Familien identifizierter verstorbener Migranten in jeder Weise bei der Erlangung einer Sterbeurkunde zu helfen,
- einfache Verfahren für Familien zu entwickeln, die eine Verschollenheits- oder Todeserklärung beantragen wollen,
- alles zu unternehmen, um die Familie eines Verschollenen oder Verstorbenen zu finden und zu informieren,
- die Rückführung sterblicher Überreste eines Toten an die Familie, sofern möglich, zu erleichtern,
- die sterblichen Überreste, sofern sie nicht an die Familie rückgeführt werden, auf würdige und respektvolle Art zu bestatten,
- den Ort der Bestattung nicht beanspruchter oder nicht identifizierter sterblicher Überreste zu protokollieren und die Grabstellen in den Ländern, wo die Toten gefunden werden, zu achten und zu erhalten,
- die Kinder vermisster oder verstorbener Migranten besonders zu schützen,
- in den Herkunfts-, Transit- und/oder Zielländern vermisster Migranten nationale Mechanismen zu erarbeiten, die Regierungen, die Zivilgesellschaft, Familien, Familienverbände, Migrantengemeinschaften und Experten einbinden.
- Die Rechte Vermisster und Verstorbener und ihrer Familien beinhalten unter anderem:
- Angehörige Vermisster oder Verstorbener oder andere betroffene Personen, zum Beispiel Zeugen, sollten, unabhängig von ihrem Wohnort, nicht in Gewahrsam genommen und/oder ausgewiesen werden oder im Mittelpunkt eines Verfahrens zur Abschiebung oder Ausweisung stehen, gleich, welchen Stand eine Untersuchung, ein Verwaltungsakt oder ein Gerichtsverfahren hat.
- Familienangehörige haben das Recht, die zivilgesellschaftliche(n) Organisation(en) und Rechtsvertreter selbst zu wählen, deren jederzeitige Hilfe, Unterstützung und Rechtsbeistand sie wünschen, und zwar in allen Prozessen und Verfahren der Suche, Identifizierung, Untersuchung und Klärung ihrer Rechte mit Blick auf ihre vermissten oder verstorbenen Angehörigen, einschließlich gegebenenfalls Sanktionen und Wiedergutmachung.
- Angehörige Vermisster oder Verstorbener haben das Recht, informiert und befragt zu werden hinsichtlich der Suche nach und der Bergung von vermissten und verstorbenen Familienmitgliedern und ihrer persönlichen Habe, unabhängig davon, welchen Stand eine Untersuchung, ein Verwaltungsakt oder ein Gerichtsverfahren hat.
- Angehörige Vermisster oder Verstorbener sollten bei der Inanspruchnahme ihres Rechts auf geeignete und wirksame Beteiligung an einer Untersuchung von staatlicher Seite in jeder notwendigen Form unterstützt werden; außerdem sollten sie rechtliche Beratung und Zugang zu Aufzeichnungen über die Suche zum Zwecke der Bergung vermisster und verstorbener Familienmitglieder und ihrer persönlichen Habe an Land oder auf See erhalten.
- Angehörige Vermisster oder Verstorbener müssen jederzeit die Möglichkeit erhalten, nach vorheriger Belehrung eine Einwilligung zu allen Maßnahmen zu erteilen, die Behörden und in ihrem Auftrag Handelnde ergreifen.
- Familienmitglieder sollten selbst über den geeigneten Ort, die Zeit und die Art der Bestattung ihres verstorbenen Angehörigen, ob befristet oder dauerhaft, entscheiden und die letzte Ruhestätte für eine würdige und respektvolle Beisetzung seiner sterblichen Überreste wählen können.
- Familienmitglieder sollten dabei unterstützt werden, die Beerdigung ihres verstorbenen Angehörigen zu planen und daran teilzunehmen, falls nötig auch durch finanzielle Hilfe, eine beschleunigte Feststellung des Einwanderungsstatus und die zügige Erteilung von Visa.
- Familienmitgliedern sollte es ermöglicht werden, innerhalb einer angemessenen Frist das Grab ihres verstorbenen Angehörigen zu besuchen und auch vor einer Beisetzung temporäre Ruhestätten, wie sie Unternehmen anbieten, aufzusuchen; außerdem sollten sie an der letzten Ruhestätte oder Gedenkstätte Trauerrituale vollziehen können, dies nicht nur zum Zeitpunkt der Bestattung, sondern auch später.
- Familienmitgliedern sollte es ermöglicht werden, sofern mit vertretbarem Aufwand möglich, innerhalb einer angemessenen Frist den Ort aufzusuchen, wo ihr Angehöriger bekanntlich oder mutmaßlich verstorben ist oder zum letzten Mal gesehen wurde oder bekanntlich war, und dort auch Trauerrituale zu vollziehen.
- Es sollten Hilfseinrichtungen bereitgestellt und regelmäßig kontrolliert werden, bis der Vermisste gefunden oder der Verstorbene geborgen und identifiziert und nach einem rechtlich ordentlichen Verfahren, einschließlich einer abgeschlossenen gerichtlichen Obduktion oder eines ähnlichen Verfahrens zur Klärung der Todesursache, beigesetzt ist.
- Gemäß dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989 müssen Kindern jederzeit besondere Unterstützung und Schutzmaßnahmen gewährt werden.
- Dem besten Interesse eines Kindes, das einen Elternteil oder andere enge Angehörige vermisst oder deren Tod beklagt, ist oberste Priorität einzuräumen bei der Bereitstellung der oben genannten Leistungen, sei es, um es individuell oder seine Familie als Ganze zu unterstützen; dazu gehört auch, betroffene Kinder bei ihren Familien zu belassen oder schnellstmöglich mit überlebenden Angehörigen zusammenzuführen, was auch in deren bestem Interesse ist.
Ferner verpflichten wir uns, dieser Erklärung als Protokoll ein Glossar, Leitlinien und erläuternde Anmerkungen zu den darin genannten Rechten und Prinzipien beizufügen.
Unterzeichnet am elften Tag des Monats Mai zweitausendachtzehn (11. Mai 2018)
als „Erklärung von Mytilini“
in Thermi, Mytilini, Lesbos, Griechenland
von den folgenden
Name Organisation
Catriona Jarvis Last Rights
Syd Bolton Last Rights
Danai Angeli Last Rights
Agnes Callamard Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen
Yonous Mohammadi Griechisches Flüchtlingsforum
Ann Singleton University of Bristol
Markella Papadouli The Aire Centre („Centre for Advice on Individual Rights in Europe“)
Lorena Núñez Carrasco University of the Witwatersrand
Carolyn Horn Leitende Beraterin der Sonderberichterstatterin für außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen für den Report of the Unlawful Death of Refugees and Migrants (Bericht über den rechtswidrigen Tod von Flüchtlingen und Migranten)
Mercedes Doretti Equipo Argentino de Antropología Forense (EAAF – Argentinisches Team für Forensische Anthropologie)
S Chelvan Rechtsanwaltskanzlei No 5 Barristers Chambers
Deborah J. Coles Geschäftsführende Direktorin Inquest
Sophia Koufopoulou Michigan State University – Synyparxi
Karl Kopp Pro Asyl
Günter Burkhardt Pro Asyl
Dora Papadopoulou ARSIS Social Support for Youth (Soziale Unterstützung junger Menschen)
Natassa Strachini Refugee Support Aegean (Unterstützung Schutzsuchender in Griechenland)
Vasileios Papadopoulos Anwalt des Griechischen Flüchtlingsrats
Kouceila Zerguine Collectif des Familles des Harragas disparus en mer (Zusammenschluss von Familien von auf dem Meer Verschollenen)
Vasilios Kerasiotis Direktor von HIAS (Hebrew Immigrant Aid Society) Greece
Robin Reineke Colibrí Center for Human Rights (Menschenrechtsorganisation)
Mohammadi Naiem R.S.A. – Pro Asyl
Ana Lorena Delgadillo Fundación para La Justicia y el Estado Democrático de Derecho (Stiftung für Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie)
Boats4People Boats4People (Bündnis für die Rechte von Migranten)
Aurelie Ponthieu Mitarbeiterin einer humanitären Hilfsorganisation
Benedicte Lienard Gastkünstler, Université Catholique de Louvain
Theodoros Nousias Gerichtsmediziner, Allgemeinkrankenhaus Mytilini, Lesbos
Nuala Mole The Aire Centre
Philippa Kempson
Eric Kempson
Giorgia Mirto
Jan Bikker
Tara Brian
Efi Latsoudi
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