Türkei: Verhaftet aus politischen Gründen – auch Deutsche betroffen

Regelmäßig frage ich ab wie viele deutsche Staatsangehörige in der Türkei festsitzen. Dazu gehören Ausreisesperren, Verhaftungen und regelmäßige Meldepflichten.

 

Schriftliche Frage der Abgeordneten Gökay Akbulut

(Monat April 2024, Arbeits-Nr. 24-04-0257)

Wie viele deutsche Staatsangehörige können nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell nicht aus der Türkei zurück nach Deutschland, weil sie entweder dort verhaftet, mit einer Ausreisesperre belegt sind oder regelmäßige Meldepflichten nachkommen müssen, und wie viele deutsche Staatsangehörige haben nach Kenntnis der Bundesregierung eine Einreisesperre in die Türkei (bitte aufschlüsseln nach Verhaftungen, Ausreisesperren, regelmäßigen Meldepflichten, Einreisesperren und Delikten bzw. Deliktsgruppen)?


Antwort der Bundesregierung

Nach Kenntnis der Bundesregierung befinden sich aktuell insgesamt 71 deutsche Staatsangehörige in der Türkei in Haft.

Die Inhaftierung deutscher Staatsangehöriger stützt sich nach Kenntnis der Bundesregierung in 16 Fällen auf Vorwürfe von Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, in 13 Fällen auf Vorwürfe von Eigentumsstraftaten, in vier Fällen auf Vorwürfe von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, in 23 Fällen auf Vorwürfe von Betäubungsmittelstraftaten und in 15 Fällen auf Vorwürfe aus Antiterrorgesetzen.

Der Bundesregierung sind derzeit 60 Fälle von Ausreisesperren gegen deutsche Staatsangehörige in der Türkei bekannt. In der Regel sind diese mit wöchentlichen Meldepflichten verbunden.

Bestehende Ausreisesperren stützen sich nach Kenntnis der Bundesregierung in 15 Fällen auf Vorwürfe von Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, in zehn Fällen auf Vorwürfe von Eigentumsstraftaten, in sechs Fällen auf Vorwürfe von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, in sieben Fällen auf Vorwürfe von Betäubungsmittelstraftaten, in vier Fällen auf Vorwürfe von Verletzungen der persönlichen Ehre und in 18 Fällen auf Vorwürfe aus Antiterrorgesetzen.

Bislang hat die Bundesregierung seit Beginn ihrer zahlenmäßigen Erfassung im Jahr 2022 von 94 Einreiseverweigerungen gegen deutsche Staatsangehörige Kenntnis erhalten; davon entfallen neun auf das laufende Jahr 2024.

Die Bundesregierung erfährt von den Ein- und Ausreisesperren sowie Verhaftungen deutscher Staatsangehöriger zugrundeliegenden Strafvorwürfen in erster Linie durch die Angaben der Betroffenen oder ihrer Familienangehörigen und kann insbesondere die Tatvorwürfe nicht zweifelsfrei überprüfen.

 

Medienberichte zur Antwort:
Tagesspiegel: „131 Deutsche sitzen in der Türkei fest: „Berlin setzt sich halbherzig für politische Gefangene ein““ (hinter einer Paywall)
Schwäbische Zeitung: „Mehr als 130 Deutsche sitzen in Türkei fest“ (ohne Paywall)
uvm.

 

Mein Kommentar:
„Diese große Zahl von inhaftierten Deutschen in türkischen Gefängnissen verdeutlicht, dass Menschenrechtslage und Gewaltenteilung in der türkischen Praxis weiterhin großen Anlass zu Besorgnis geben. Das merke ich auch in meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete. Allein in den letzten Wochen haben mich Angehörige von drei Deutschen kontaktiert, die – unabhängig voneinander – in der Türkei aus politischer Willkür festgenommen wurden.

Unter den kürzlich Festgenommenen ist beispielsweise ein Vater von fünf Kindern, der nur an einer Demonstration teilgenommen hat und dabei fotografiert wurde. Regierungsnahe türkische Medien präsentieren die Festnahmen als Schlag gegen die Organisationsstruktur der kurdischen Arbeiterpartei PKK und die Festgenommenen als Führungspersonen der kurdischen Freiheitsbewegung. Dabei würde eine Führungsperson der kurdischen Opposition niemals auf die Idee kommen, in die Türkei zu reisen.

Leider hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem jüngsten Besuch in der Türkei die Gelegenheit verpasst, sich mit größerem Nachdruck für die aus politischen Gründen inhaftierten Personen einzusetzen. Statt dieses Döner-Klamauks hätte ich von unserem Bundespräsidenten deutlichere Worte für die inhaftierten deutschen Staatsangehörigen, für Menschenrechte und Pressefreiheit erwartet.

Dass sich Vertreter Deutschlands aber mit Kritik an der türkischen Regierung sehr zurückhalten, hat leider Tradition. Die Bundesregierung toleriert die aggressive Außenpolitik ihres NATO-Partners Türkei, die völkerrechtswidrigen Kriege gegen Kurden in Nachbarstaaten führt und die Hamas hofiert. Die Bundesregierung muss endlich Menschenrechten Vorrang vor geopolitischen Interessen einräumen.

Ein entschlossener Einsatz der Bundesregierung würde auch den aus politischer Willkür inhaftierten Deutschen in der Türkei helfen. Die Türkei leistet sich viel, weil sie weiß, dass sich die Bundesregierung nur halbherzig für politische Gefangene einsetzt. Nur so ist auch zu erklären, dass die Türkei sich im vergangenen Jahr über diplomatische Gebräuche hinweggesetzt und aufgrund von alten Social-Media-Beiträgen mich festgenommen hat, obwohl ich Bundestagsabgeordnete bin.“



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