Fragen zum Gaza-Krieg und der Aufnahme von verwundeten Zivilisten


In der Fragestunde am 17. Januar 2024 möchte ich von der Bundesregierung wissen, wie sie zu den Forderungen nach einem Aufnahmeprogramm für Verwundete des Gaza–Krieges steht. Und warum wurde das Aufnahmeprogramm für syrische Staatsangehörige verschärft? Außerdem: Wie bewertet sie die israelische Kriegsführung aus völkerrechtlicher Sicht?

 

Mündliche Fragen der Abgeordneten Gökay Akbulut

(Fragestunde am 17.Januar 2024)


Erste Frage:
Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der Aufforderung der Landesflüchtlingsräte aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen, wonach die Bundesregierung mit den Ländern die Aufnahme von zivilen Binnenflüchtlingen und insbesondere Verwundeten des Gaza-Krieges abstimmen und die Umsetzung eines solchen Evakuierungsprogramms mit den Regierungen Israels und Ägyptens verhandeln soll, insbesondere für Menschen mit Bezügen zu Deutschland (vgl. www.nds-fluerat.org/57755/aktuelles/verantwortung-uebernehmen-gewaltopfer-aus-gazaaufnehmen/), und inwieweit trifft es zu, dass die noch bestehenden Aufnahmeprogramme für Angehörige von in Deutschland lebenden syrischen Staatsangehörigen, die für Unterbringung und Lebenshaltungskosten ihrer aufgenommenen Verwandten in der Regel selbst aufkommen, durch eine Weisung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat seit 2023 dahingehend verschärft wurden, dass nur noch solche Personen berechtigt sein sollen, die sich aufgrund des Bürgerkriegs in einer aktuellen individuellen Not oder Bedrängnis befinden (vgl. www.rbb24.de/politik/beitrag/2023/10/brandenburg-innenministeriumsyrien-aufnahme-stopp-verwandte.htm)?

Antwort der Bundesregierung:

Aktuell bestehen keine Planungen für humanitäre Aufnahmeprogramme/Resettlementprogramme für Personen im Sinne der Fragestellung. Dem Bundesministerium des Innern und für Heimat liegen bislang auch keine Einvernehmensbitten zu Landesaufnahmeprogrammen vor.

Landesaufnahmeprogramme für einen erweiterten Familiennachzug sind gemäß § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes nur rechtmäßig, wenn sie Einreisen aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland gestatten; sie dürfen nicht zur Umgehung der Familiennachzugsregelungen oder anderer Regelungen des Aufenthaltsgesetzes führen. Hierauf hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 15. März 2022 (BVerwG 1 A 1.21) zu einem Landesaufnahmeprogramm Berlins explizit hingewiesen und klargestellt, dass humanitäre Gründe im Sinne des § 23 Abs. 1 AufenthG vorliegen, „wenn die Aufnahmeanordnung durch einen (…) auf moralischen oder menschlichen Überlegungen beruhenden Einsatz zugunsten anderer Menschen motiviert ist, die sich in Not oder Bedrängnis befinden“.

Demnach müssen die Voraussetzungen für die Annahme humanitärer Gründe in den Landesaufnahmeprogrammen explizit genannt werden und das Vorliegen dieser Gründe muss auch durch die zuständigen Stellen überprüft werden können.

 

Zweite Frage:
Inwieweit ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Vorgehensweise der israelischen Armee in Gaza noch von dem Recht auf Selbstverteidigung Israels infolge des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober 2023 gedeckt ist, insbesondere mit Blick darauf, dass die Bundesregierung sich „immer wieder“ veranlasst sah, die israelische Regierung auf die Einhaltung des Völkerrechts hinzuweisen (vgl. Antwort der Bundesregierung auf meine Schriftliche Frage 12 /444), und wie positioniert sich die Bundesregierung zu den aktuellen Rechtsmitteln Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, die u. a. darauf gerichtet sind, dass Israel die Kriegshandlungen in Gaza sofort einstellen soll (vgl. www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228- app-01-00-en.pdf)?

 

Antwort der Bundesregierung:

Israel hat nach dem bewaffneten Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 das Recht auf Selbstverteidigung gegen die Terrororganisation Hamas. Das legitime Selbstverteidigungsrecht Israels ist im Rahmen des humanitären Völkerrechts auszuüben. Die israelische Armee muss allerdings alles tun, um Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza zu schützen. Das gilt auch für den Schutz von Palästinenserinnen und Palästinensern vor Siedlergewalt im Westjordanland. Die israelische Armee muss Wege finden, die Hamas zu bekämpfen, ohne dass so viele palästinensische Zivilistinnen und Zivilisten Schaden an Leib und Leben nehmen. Es sind in diesem Konflikt schon zu viele Menschen gestorben.

Es obliegt dem Internationalen Gerichtshof, den von Südafrika eingereichten Antrag rechtlich zu prüfen. Der Tatbestand des Völkermords im Sinne der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 setzt voraus, dass die Tathandlungen in der Absicht begangen werden, Angehörige einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten. Die Bundesregierung hat ihre Absicht mitgeteilt, im Hauptsacheverfahren vor dem IGH ihre Rechtsauffassung zur Auslegung der Völkermordkonvention in Form einer sogenannten Intervention darzulegen.

 

Meine Nachfrage:

Gibt es dann aber unterhalb der Einstufung als Völkermord Ereignisse in Gaza, wie zum Beispiel die massenhafte Vertreibung oder die Nutzung von ungelenkten Bomben, bei denen die Bundesregierung sagen würde: „Diese Handlungen begründen vielleicht keine Einstufung als Völkermord, aber sie können als Kriegsverbrechen eingestuft werden“?

 

Antworten der Bundesregierung auf die Nachfrage:

Dr. Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Frau Abgeordnete, das mag Sie nicht befriedigen, aber es ist auf der Linie dessen, wie wir solche Fragen worten: Die Frage, ob Handlungen ein Kriegsverbrechen darstellen, ist eine rechtliche Frage, die durch Gerichte zu klassifizieren ist und nicht durch die Bundesregierung. Dazu bräuchte die Bundesregierung auch Erkenntnisse in einem Detaillierungsgrad, wie sie sie nicht hat.

Aber lassen Sie mich ungeachtet der rechtlichen Fragen – Sie haben beispielsweise das Stichwort „Bevölkerung“ in den Mund genommen – sehr deutlich machen, dass die Bundesregierung und die Außenministerin nicht zuletzt auch im Rahmen der G 7 sogenannte fünf Neins formuliert haben, fünf Dinge, die es zu vermeiden gilt, darunter neben einer Reoccupation, also einer erneuten Besetzung von Gaza, auch eine irgendwie geartete Vertreibung der Bevölkerung.

 


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