Informationen zur Festnahme in der Türkei


Am Abend des 3. August 2023 wurde ich bei der Einreise in die Türkei für mehrere Stunden festgenommen. Beschuldigt wurde ich aufgrund von Social-Media-Beiträgen von 2019 mit „Terror-Propaganda“. Dabei ging es um den Angriffskrieg der Türkei in Nordsyrien/Rojava. Ich hatte den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages beauftragt eine völkerrechtliche Einschätzung dieser Angriffe auszufertigen. Die daraus folgende völkerrechtswidrige Einstufung der türkischen Angriffe war dem Erdogan-Regime ein Dorn im Auge.

Erst in der Türkei am Flughafen habe ich erfahren, dass ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Kayseri gegen mich vorliegt. Die mehrfachen Morddrohungen gegen mich kamen ebenfalls aus diesem Ort.

Gleich nach der Passkontrolle war ich dann umzingelt von Polizistinnen, die mich anschließend kreuz und quer durch die Stadt gefahren haben. Während dessen habe ich die Notfallhotline  der Deutschen Botschaft in Ankara angerufen, sie über die Festnahme informiert und um Unterstützung gebeten. Mir wurde von der Deutschen Botschaft zugesichert, dass sie sich hochrangig auf verschiedenen Kanälen für meine Freilassung einsetzen werden. Außerdem wurde mir noch eine Liste mit örtlichen Kanzleien zugeschickt. Gleichzeit haben mir die Polizisten gesagt, dass ich sofort vor dem Richter Stellung beziehen muss und mir ein Rechtsanwalt von denen zugewiesen wurde. Dies habe ich abgelehnt und mitgeteilt, dass ich selbst eine Rechtsanwältin beauftragen werde. Dann bekam ich eine Frist bis 21 Uhr auszusagen, ansonsten müsste ich ins Gefängnis. Die Rechtsanwältin, die ich beauftragt habe, wurde einige Jahre zuvor selbst aufgrund ihres politischen Engagements inhaftiert. Sie war 20 Minuten nach meinem Anruf bei mir und hat den Haftbefehl eingesehen und mit mir sorgfältig die Aussage vorbereitet.

Dann erfuhr ich von der Deutschen Botschaft, dass die Gespräche mit dem türkischen Justizministerium erfolgreich verliefen und die Akte gelöscht wurde. Das Justizministerium soll mitgeteilt haben, dass sie nicht wussten, dass ich Bundestagsabgeordnete und Mitglied der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe sei. Dabei bin ich mit meinem Diplomatenpass eingereist und habe mich als deutsche Bundestagsabgeordnete ausgewiesen. Die Social-Media-Beiträge, mit denen ich beschuldigt werde, stehen in meinem offiziellen Account beim Twitter-Nachfolger X. Es war also jederzeit klar ersichtlich gewesen, dass ich deutsche Bundestagsabgeordnete bin.
Das türkische Innenministerium soll der Deutschen Botschaft gegenüber gesagt haben, dass sie sich das mit dem Haftbefehlt noch überlegen müssen.

Nachdem das Justizministerium die Akte gelöscht hat, wurde ich mit einer Polizeieskorte zurück zum Flughafen gefahren. Im Anschluss habe ich meinen Verwandten-Besuch kurz gefasst und das Land nach zwei Tagen verlassen.

Im Oktober werde ich im Rahmen der Delegationsreise der Deutsch-Türkischen-Parlamentariergruppe erneut in die Türkei reisen und dort wie immer kein Blatt vor den Mund nehmen und bei jeder passenden Gelegenheit alle politischen Inhaftierungen und Verfahren kritisieren. Keine Sorge: Durch den Haftbefehl lasse ich mich nicht einschüchtern. Der Vorfall hat nochmals gezeigt, dass es in der Türkei keine Gewaltenteilung gibt.

Gleich nachdem öffentlich wurde, dass ich in der Türkei festgenommen wurde, erreichte mich eine Welle der Solidarität. Dies gibt mir Kraft und Motivation für unser gemeinsames politisches Engagement. Dafür bin ich unendlich dankbar!

 

Hintergrundinformation:
Das Erdogan-Regime versucht mit allen Mitteln Kritiker zum Schweigen zu bringen und einzuschüchtern. Dazu haben sie extra neue Straftatbestände eingeführt bzw. erweitert, wie z. B. Präsidentenbeleidigung, die Anti-Terror-Gesetzgebung oder das Desinformationsgesetz. Diese Gesetze werden willkürlich gegen Andersdenkende eingesetzt. Vor Verurteilung aufgrund dieser Straftatbestände schützt auch keine deutsche Staatsbürgerschaft. Viele deutsche Staatsangehörige werden deshalb bei der Einreise in die Türkei festgenommen.
Der türkische Terrorismusbegriff wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als rechtswidrig eingestuft. Das zeigt, wie weit sich die Türkei unter Erdogan von einer Demokratie entfernt hat.


Weitere Beiträge: