Umfang und Auswirkungen von Outsourcing in Krankenhäusern

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Gökay Akbulut, Harald Weinberg, Dr. André Hahn, Susanne Ferschl, Sylvia Gabelmann, Ulla Jelpke, Katja Kipping, Cornelia Möhring, Niema Movassat, Zaklin Nastic, Petra Pau, Sören Pellmann, Martina Renner, Kersten Steinke, Friedrich Straetmanns, Dr. Kirsten Tackmann, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

 

Umfang und Auswirkungen von Outsourcing in Krankenhäusern

Die Betriebskosten der Krankenhäuser werden größtenteils durch diagnosebezogene Fallpauschalen vergütet. Diese festgelegten Preise schaffen strukturell den Anreiz für die Krankenhäuser, ihre Kosten, insbesondere ihre Personalkosten, soweit wie möglich zu senken – entweder für eine „schwarze Null“ in der Bilanz oder, noch zweckwidriger, um auf Kosten der Beschäftigten zusätzliche Profite zu erwirtschaften.

Viele Kliniken haben in den letzten 20 Jahren Servicegesellschaften gegründet und direkt patientenbezogene und permanent anfallende Tätigkeiten ausgelagert („Outsourcing“). Der einzige Grund für diese Servicegesellschaften sind Einsparungen bei den Arbeitskosten über die Verschlechterung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. Dabei kommen vom Minijob, über Leiharbeit bis zum Werkvertrag viele atypische Beschäftigungsformen zum Einsatz. Hier finden sich zu einem überproportionalen Anteil Beschäftigte mit Migrationsgeschichte, was Fragen zu ihrer Stellung auf dem Arbeitsmarkt im Dienstleistungs- und Pflegebereich auf wirft (vgl.:  https://www.infodienst.bzga.de/migration-flucht-und-gesundheit/materialien/systemrelevant-und-prekaer-beschaeftigt-wie-migrantinnen-unser-gemeinwesen-aufrechterhalten/).

Die Fragestellenden sehen in den unübersichtlichen, statistisch kaum erfassten Geflechten von ausgegliederten Servicegesellschaften und den damit einhergehenden unterschiedlichen Beschäftigungsformen und Arbeitsbedingungen zum einen die Gefahr von Ungleichbehandlungen der Beschäftigten. Auch die betrieblichen Interessenvertretungen werden dadurch geschwächt. Zum anderen entstehen erhebliche Risiken für die Patientensicherheit: Der Versorgungsprozess wird zerteilt und Arbeitsabläufe werden erschwert, weil überflüssige Schnittstellen und Doppelstrukturen entstehen, die einzig auf die Auslagerungen zurückzuführen sind.

Durch die Corona-Pandemie sind diese Probleme und Mängel verstärkt in Erscheinung getreten, wie es besonders markant im Abschlussbericht einer unab-hängigen Expertenkommission zum SARS-CoV-2-Ausbruch am Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann im Frühjahr 2020 dokumentiert ist (siehe https://www.potsdam.de/sites/default/files/documents/abschlussberichtexpertenberichtkevb.pdf). Als Konsequenz werden dort die Servicegesellschaften aufgelöst und in den Stammbetrieb zurückgeholt.

Die Fragestellenden möchten von der Bundesregierung erfahren, welches Aus-maß diese Ausgliederungen bisher erreicht haben, welche Konsequenzen dies für die Beschäftigten und die Patient*innen hat, sowie ob sie bei den ausgliederten Servicegesellschaften der Kliniken ebenfalls, wie der Auffassung der Fragestellenden entsprechend, Anzeichen für Fehlentwicklungen und den missbräuchlichen Einsatz dieser Konstrukte sieht – und daher auch politischen Handlungsbedarf.

Die folgenden Fragen beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf Krankenhäuser nach § 107 Abs. 1 SGB V. Unter Servicegesellschaften werden in dieser Anfrage mehrheitlich oder gänzlich unternehmens- oder konzern- bzw. unternehmensgruppeneigene Gesellschaften verstanden, denen permanente Teilaufgaben des Krankenhausbetriebes übertragen werden.

 

Wir fragen die Bundesregierung:

  1. Wie viele Krankenhäuser in Deutschland haben nach Kenntnis der Bundesregierung Tätigkeiten in Servicegesellschaften ausgegliedert (bitte ab 1991, nach Trägerschaft und nach Bundesländern differenziert aufschlüsseln)?
  2. Wie viele Servicegesellschaften in Krankenhäusern bestehen in Deutschland (bitte die Zahl ab 1991 jährlich und nach Trägerform ausweisen)? Wie viele Servicegesellschaften bestehen durchschnittlich pro Krankenhaus (bitte differenzieren nach Trägerform)? Wie viele Mitarbeiter*innen haben diese durchschnittlich? Wie viele Servicegesellschaften beschäftigen jeweils 1-50, 51-200, 201-1.000 und mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen (bitte pro Spanne die Anzahl der Servicegesellschaften angeben)?
  3. Wie viele Menschen arbeiten nach Kenntnis der Bundesregierung insgesamt in den ausgegliederten Servicegesellschaften (bitte ab 1991, nach Beschäftigungsverhältnissen und nach Trägerform des Stammkrankenhauses aufschlüsseln)?
  4. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Beschäftigtenzahlen (Vollkräfte) in den einzelnen Dienstgruppen der Krankenhäuser jenseits des ärztlichen Dienstes und des Pflegedienstes (medizinisch-technischer Dienst, Funktionsdienst, klinisches Hauspersonal, Wirtschafts- und Versorgungsdienst, technischer Dienst, Verwaltungsdienst, Sonderdienste, sonstiges Personal) von 1991 bis heute entwickelt (bitte pro Dienstgruppe und Jahr angeben und nach Trägerform differenzieren)? Inwiefern sind Personalrückgänge in einzelnen Dienstgruppen auf generellen Personalabbau zurückzuführen bzw. wie viele der in den Stammkrankenhäusern abgebauten Stellen wurden in Servicegesellschaften ausgelagert?
  1. Welche Aufgaben werden nach Kenntnis der Bundesregierung vor allem in Servicegesellschaften ausgelagert (bitte die zehn am häufigsten ausgelagerten Bereiche mit der entsprechenden Anzahl angeben)?
  2. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Kosten für ausgegliederte Leistungen („Outsourcing“) in Krankenhäusern (bitte ab 1991 jährlich ausweisen und nach Trägerform und Bundesländern aufschlüsseln)? Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Kosten für ausgegliederte Leistungen („Outsourcing“) in Krankenhäusern im Vergleich zu den Personalkosten der Krankenhäuser (bitte ab 1991 jährlich in absoluten Zahlen und prozentual ausweisen und nach Trägerform und Bundesländern aufschlüsseln)?
  1. Welche Beschäftigungsformen kamen und kommen nach Kenntnis der Bundesregierung in den Servicegesellschaften vor?
    1. Wie ist das Verhältnis von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten in den Servicegesellschaften?
    2. Wie ist das Verhältnis von Festangestellten und befristet Beschäftigten in den Servicegesellschaften?
    3. Welcher Anteil der Beschäftigten in Servicegesellschaften wird nach Mindestlohn bezahlt (allg. oder in der Branche geltende Mindestlöhne)?
  2. Welche Unterschiede gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung zwischen Stammbelegschaften und Beschäftigten in Servicegesellschaften bezüglich
    1. Tarifvertragsquoten,
    2. Bezahlung,
    3. Krankenstand,
    4. Fluktuation,
    5. Anteil der sogenannten Aufstockerinnen und Aufstocker,
    6. Formale Bildung/Qualifikationsniveau,
    7. Abdeckung mit Betriebsräten, Personalräten, Mitarbeitervertretungen,
    8. Anzahl von Überstunden?
  3. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Stammbelegschaft gegenüber Werkvertragsbeschäftigten und Leiharbeiterinnen in den Jahren 2000 bis 2020 nach Kenntnis der Bundesregierung entwickelt (bitte nach Gesamtzahl der Beschäftigten ausweisen und dabei Werkvertragsbeschäftigte und Leiharbeiternehmer*innen gesondert ausweisen sowie nach Bundesländern und Trägerformen differenzieren)?
  4. Inwiefern sieht die Bundesregierung Gründe für die Schaffung von Servicegesellschaften im Finanzierungssystem der Krankenhäuser und dem Wettbewerb zwischen diesen?
  5. Teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass der Grund für die Ausgliederungen im Wesentlichen in Kosteneinsparungen liegt? Welche sonstigen Gründe sieht die Bundesregierung für die Ausgliederungen?
  6. Inwiefern ist es im Sinne der Bundesregierung, dass Sozialversicherungsbeiträge durch Servicegesellschaften für prekäre Beschäftigung, Tarifflucht und Lohndumping eingesetzt werden?
  7. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, die Krankenhausfinanzierung dahinhegend zu verändern, dass Fehlanreize zur Ausgliederung in Servicegesellschaften behoben werden?
  8. Welche Geschlechterverteilung gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung in den Servicegesellschaften?
  9. Wie hoch ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in den Servicegesellschaften im Vergleich zur gesamten erwerbstätigen Bevölkerung nach Kenntnis der Bundesregierung?
  10. Welche Auswirkungen der Schaffung von Servicegesellschaften erwartet die Bundesregierung bezüglich des Rentenniveaus der dort Beschäftigten?Welche Folgekosten in Folge von Rentenaufstockungen sind demnach für die Kommunen zu erwarten?
  1. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um soziale Folgen der Ausgliederungen in Krankenhäusern, inklusive ihrer Folgen für das Rentenniveau, abzumildern? Welche Maßnahmen plant sie?
  2. Wenn der Bundesregierung zu den Fragen 1 bis 9 und 14 bis 16 keine Daten vorliegen: Plant sie diese zukünftig zu erheben? Wenn Nein, warum nicht (bitte die Gründe für die jeweiligen Fragen nennen, zu denen keine Daten vorliegen und auch nicht erhoben werden sollen)?
  3. Wie wirkt sich die Neufassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes im April 2017 aus? Sind in den Servicegesellschaften neue Beschäftigungsformen entstanden, um die nun verbotenen Kettenüberlassungen sowie den Equal-Pay-Grundsatz zu umgehen?
  4. Wie beurteilt die Bundesregierung die Schaffung sogenannter „Gemeinsamer Betriebe“ (nach §1 BetrVG), um Beschäftigte in Pflege, Therapie und anderen Berufen zu anderen (meist tariflosen) Bedingungen neben den Stammbeschäftigten einstellen zu können, wie es einige private Krankenhauskonzerne bereits praktizieren? Sieht die Bundesregierung darin eine Umgehung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes?
  5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die in §107 SGB V (bzw. für Privatkliniken §30 GewO) beschriebenen Aufgaben und Funktionen eines Krankenhauses grundsätzlich mit krankenhauseigenem (das heißt in dem Unternehmen angestellten, dass die Krankenhauszulassung bzw. Konzession erhalten hat), Personal zu erfolgen hat? Falls nicht, warum nicht? Falls ja, welche Maßnahmen wurden und werden ergriffen bzw. sind geplant, um dieser Auffassung Geltung zu verschaffen?
  6. Inwiefern liegen der Bundesregierung Kenntnisse vor, die den Missbrauch von Werkverträgen in Krankenhäusern nahelegen?
  7. Wann besteht bei ausgelagerten Dienstleistungen die Pflicht zur Umsatzsteuer? Wird in Krankenhaus-Servicegesellschaften regelhaft Umsatzsteuer ausgelöst bzw. gezahlt?
  8. Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch darin, dass für die meisten Servicegesellschaften eine steuerrechtliche Organschaft mit dem Stammbetrieb angenommen und dadurch die Umsatzsteuer vermieden wird, arbeits- und tarifrechtlich aber ganz unterschiedliche Standards in Stamm- und Tochtergesellschaften herrschen?
  9. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, ob und ggf. wie der Arbeitsschutz für Beschäftigte in ausgegliederten Tochtergesellschaften gewährleistet, wird?
  10. Wie wird – generell und besonders in Zeiten der Covid-19-Pandemie – sichergestellt, dass Werkvertrags-Beschäftigte, die nicht in den Kernbetrieb integriert sein dürfen, vollständige, jederzeit aktuelle Informationen zu den geltenden Hygienerichtlinien sowie zum Infektionsstatus einzelner Patient*innen/Räumlichkeiten erhalten? Insbesondere stellt sich die Frage, ob Werkvertrags-Beschäftigte
    1. vollständige, regelmäßig wiederholte, aktuelle, ggf. auch fremdsprachliche, Arbeitsschutzunterweisungen erhalten?
    2. jederzeit und ohne Probleme die notwendige Arbeitsschutzausrüstung (Atemschutzmasken, Schutzbrillen, Schutzanzüge, etc.) zur Verfügung gestellt bekommen?
  11. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, dass die Aufspaltung der Beschäftigten in unterschiedliche Belegschaften zu Brüchen auch bei der Umsetzung der Arbeitsschutzvorschriften führt?
  12. Welche Erkenntnisse und Studien liegen der Bundesregierung über Qualitätsmängel in der Versorgung und Patientengefährdung durch Outsourcing vor (z.B. erhöhte Infektionsrisiken durch Reinigungsmängel bei Fremdfirmen, Zersplitterung der Arbeitsabläufe etc.)? Falls keine Erkenntnisse vorliegen: Plant die Bundesregierung hierzu Studien zu beauftragen? Wenn Nein, warum nicht?
  13. Wie bewertet die Bundesregierung den von einer unabhängigen Expertenkommission erstellten „Abschlussbericht zum SARS-CoV-2-Ausbruch am Klinikum Ernst-von-Bergmann im Frühjahr 2020“ bezüglich der dort benannten gravierenden Mängel und Probleme, die sich durch die fehlende Einbindung der Mitarbeiter*innen in den ausgelagerten Servicebereichen in den Krankenhausbetrieb ergeben haben? Sieht die Bundesregierung hier allgemeinen Regelungsbedarf und die Notwendigkeit, diese Arbeitsbereiche wieder in die Krankenhausstammbetriebe zurückzuholen, wie dies am Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum als Konsequenz aus dem Ausbruch geschehen ist?

Berlin, den 8. Februar 2021

Amira Mohamed Ali, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion


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