Aufenthalt in Deutschland eines mutmaßlichen Komplizen des Attentäters der Morde an kurdischen Politikerinnen in Paris im Jahre 2013
Kleine Anfrage (pdf)
der Abgeordneten Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Cornelia Möhring, Niema Movassat, Żaklin Nastić, Petra Pau, Martina Renner, Kersten Steinke, Friedrich Straetmanns, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE.
Aufenthalt in Deutschland eines mutmaßlichen Komplizen des Attentäters der Morde an kurdischen Politikerinnen in Paris im Jahre 2013
Am 9. Januar 2013 wurden die drei kurdischen Politikerinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris ermordet. Der Auftragsmörder Ö. G. wurde verhaftet und wenige Wochen vor dem Prozessbeginn tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden. Zu diesen Morden, an denen laut den Pariser Ermittlungsbehörden der türkische Geheimdienst MİT (Millî İstihbarat Teşkilâtı, türkisch für Nationale Nachrichtendienstorganisation) beteiligt gewesen sein soll, hat die Bundestagsfraktion DIE LINKE. u. a. eine Kleine Anfrage eingereicht (Bundestagsdrucksache 18/675). Medienberichten zufolge lebt ein mutmaßlicher Komplize des Attentäters, R. S., in Deutschland. Ö. G, der bis 2011 mehrere Jahre lang in Bayern gelebt hatte, stand bereits dort laut diesen Berichten in engen Kontakt mit R. S, der in demselben Unternehmen wie er arbeitete und als Lobbyist für die türkische Regierungspartei im türkisch-nationalistischen Milieu gut vernetzt war. R. S. engagierte sich damals in einem Moscheeverein der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DİTİB) in Miesbach. Er war auch Kassenwart im Sportverein Türkspor Hausham, für den Ö. G. als Kellner im Vereinsheim arbeitete (siehe https://www.jungewelt.de/artikel/394125.t%C3%BCrkische-fasc%20histen-in-der-brd-ende-der-schonzeit.html). Nach Recherchen der kurdischen Nachrichtenagentur ANF ist davon auszugehen, dass Ö. G. während seiner Arbeit für diesen dem Milieu der türkisch-rechtextremen Ülkücü-Bewegung nahestehenden Sportverein vom türkischen Geheimdienst für Mordanschläge auf kurdische Politiker angeworben wurde. R. S., war in der Haftzeit von Ö. G. sein einziger Besucher. Dabei soll das Gespräch zwischen den beiden von den französischen Sicherheitskräften abgehört worden sein. Ö. G. soll R. S. beauftragt haben, seinen Fluchtplan an den türkischen Geheimdienst MİT weiterzugeben. Der Fluchtplan sei von den Sicherheitsbehörden vereitelt worden (siehe https://anfdeutsch.com/aktuelles/Omer-g%20uneys-komplize-ist-immer-noch-bei-ditib-aktiv-23831 ). Nach Bekanntwerden seines Gefängnisbesuches am 4. Januar 2014, mit dem sich Ö. G. als Verbindungsmann zum MIT zu erkennen gegeben habe und der Gesprächsinhalte mit Ö. G., soll sich R. S. in die Türkei zurückgezogen haben. Nach Recherchen der kurdischen Nachrichtenagentur ANF ( https://anfdeutsch.com/hintergrund/Omer-guneys-komplize-ist-immer-noch-bei-ditib-aktiv-23831) soll sich R. S. seit 2020 wieder in Deutschland aufhalten. Dem Bericht zufolge sei R. S. u. a. bei der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DİDeutscher Bundestag Drucksache 19/26504 19. Wahlperiode 09.02.2021 Vorabfassung – wird durch die lektorierte Version ersetzt. TİB) sehr aktiv, die in der Vergangenheit aufgrund ihrer Spitzelarbeit für den türkischen Geheimdienst MİT mit Ermittlungen beim Generalbundesanwalt und vielen Schlagzeilen in den Medien aufgefallen ist (siehe https://www.zdf.de/nachrichten/politik/erdogan-tuerkei-spitzel-deutschland-100.html).
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Haben deutsche Sicherheitsbehörden im Zuge der Ermittlung zu den Morden an den drei kurdischen Politikerinnen 2013 in Paris, nach Kenntnis der Bundesregierung, von einer möglichen Involvierung von R. S. erfahren und wenn ja, wann und durch wen?
2. Wurden deutsche Sicherheitsbehörden, nach Kenntnis der Bundesregierung, von französischen Behörden über den Besuch von R. S. bei Ö. G. in Kenntnis gesetzt (falls ja, bitte so genau wie möglich ausführen)?
3. Haben, nach Kenntnis der Bundesregierung, deutsche Sicherheitsbehörden gegen R. S. zu Spionagetätigkeiten oder Mordversuchen ermittelt und falls ja, mit welchem Ergebnis (wenn ja, bitte so detailliert wie möglich ausführen)?
4. Haben französische Behörden, nach Kenntnis der Bundesregierung, Informationen von deutschen Behörden zu R. S. beantragt und wurden diese geliefert?
5. Sind, nach Kenntnis der Bundesregierung, deutsche Behörden über die Ausund Wiedereinreise von R. S., aus Deutschland in die Türkei und zurück, informiert?
6. Welchen Aufenthaltsstatus in Deutschland und welche Staatsangehörigkeit besitzt R. S. nach Kenntnis der Bundesregierung?
7. Gibt es, nach Kenntnis der Bundesregierung, sonstige strafrechtliche Ermittlungen gegen R. S. und wenn ja, durch wen und weswegen?
8. Sind, nach Kenntnis der Bundesregierung, mögliche Spionagetätigkeiten oder nachrichtendienstliche Betätigungen von R. S. den deutschen Sicherheitsbehörden bekannt?
9. Gab es, nach Kenntnis der Bundesregierung, eine Kommunikation zwischen deutschen und türkischen Behörden bezüglich R. S. (wenn ja, bitte so genau wie möglich ausführen)?
Berlin, den 25. Januar 2021
Amira Mohamed Ali, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion