Meine Frage an die Bundesregierung

Schriftliche Fragen der Abgeordneten Gökay Akbulut für den Monat Januar

(Monat Januar 2021, Arbeits-Nr. xxx)

Frage für den Monat Januar

Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung – insbesondere in Zeiten der jetzigen COVID-19-Pandemie-, um Artikel 18 des „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“ umzusetzen und die besonders vulnerablen Personengruppen wie geflüchtete Frauen und Frauen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus vor Gewalt zu schützen?

Antwort der Bundesregierung

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) verpflichtet alle staatlichen Ebenen, Bund, Länder und Kommunen, die erforderlichen Maßnahmen zur weiteren Umsetzung der aus ihr erwachsenden Verpflichtungen in jeweils eigener Kompetenz zu ergreifen. Die Bundesländer, die primär für die Vorhaltung von Schutz- und Beratungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen vor Ort zuständig sind, haben auch während der Corona-Pandemie vielfältige Maßnahmen zur Sicherung der Angebote ergriffen. Solche Schutz- und Beratungsangebote können insbesondere auch vulnerable Personengruppen wie geflüchtete Frauen und Frauen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus wahrnehmen.
Soweit es sich um unmittelbare Gefährdungen für Leib oder Leben der betroffenen Frauen handelt, ist die jeweilige Landespolizei für die zu treffenden Maßnahmen einer angemessenen Gefahrenabwehr zuständig. Die Bundesregierung hat daneben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass gewaltbetroffene Frauen auch während der Corona-Pandemie Zugang zu dem Hilfe- und Unterstützungssystem haben:
Das von der Bundesregierung in 2013 eingerichtete bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet nach wie vor rund um die Uhr Unterstützung und Hilfe bei allen Formen von Gewalt gegen Frauen. Es wurde und wird weiterhin alles getan, um den Betrieb und die Funktionsfähigkeit des Hilfetelefons auch in der Pandemie aufrechtzuerhalten. Unter der kostenlosen Telefonnummer 08000 116 016 können sich neben betroffenen Frauen auch Angehörige, Freunde, und Personen aus dem sozialen Umfeld sowie Fachkräfte an das Hilfetelefon wenden. Das kostenfreie, anonyme und barrierefreie Angebot steht in 18 Sprachen an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung. Es ist auch online unter www.hilfetelefon.de erreichbar. Um die Länder, die primär für die Bereithaltung der Hilfeinfrastrukturen für gewaltbetroffene Frauen mit ihren Kindern zuständig sind, stärker zu unterstützen, hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen der Bundesförderkompetenz ein bundesweites Investitions- und Innovationsprogramm, das Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ gestartet – nach jetziger Planung im Umfang von insgesamt
rund 171 Mio. Euro für die Jahre 2019 bis 2024.
Ziel des Programms ist es, durch die Förderung innovativer investiver wie nicht-investiver Projekte einen Weiterentwicklungsschub im gesamten Hilfesystem anzustoßen und noch bestehende Lücken zu schließen, beispielsweise bei der Erreichung und Versorgung von bestimmten bislang nicht ausreichend erreichten Zielgruppen, darunter z. B. auch Migrantinnen, die von Gewalt betroffen sind.
Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen während der Corona-Pandemie besser zu unterstützen, ist des Weiteren das Ziel eines neuen und im Rahmen des Bundesförderprogramms „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ geförderten Projekts „Hilfesystem 2.0“ – Nachhaltiges technisches Empowerment von Fachberatungsstellen und Frauenhäusern in der Corona-Pandemie“.
Drei Millionen Euro stehen seit Projektbeginn (15. Oktober 2020) für das Hilfesystem bereit – für Technik sowie für Unterstützung auf digitalen Wegen für gewaltbetroffene Frauen durch Fortbildung der Beraterinnen und Berater und qualifizierte Sprachmittlung. Das Projekt wird von der Frauenhauskoordinierung e. V. umgesetzt. Es leistet einen Beitrag sowohl
zur Aufrechterhaltung als auch zur Verbesserung des Hilfesystems unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie und bietet Frauen Möglichkeiten, im Falle der Gewaltbetroffenheit trotz der notwendigen Kontaktbeschränkungen Hilfe und Unterstützung zu erlangen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) praktiziert eine Reihe von Maßnahmen zum besonderen Schutz von Frauen in Fluchtsituationen. Die internen Vorgaben des BAMF enthalten spezielle verfahrensbezogene Anweisungen und Hinweise zur Anwendung der einschlägigen rechtlichen Regelungen zum Umgang mit Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt. Beispiele hierfür sind Anweisungen zum Einsatz von speziell geschulten und sensibilisierten Entscheiderinnen und Entscheidern (Sonderbeauftragte), der Einsatz von weiblichen Dolmetschern, Hinweise zur Anhörung oder zur Bewertung geschlechtsspezifischer Verfolgung.
Das BAMF berücksichtigt, wenn vulnerable Personen am Verfahren beteiligt sind und gewährleistet besondere Verfahrensgarantien. Ein Beispiel für die besonderen Schutzmaßnahmen ist die Berücksichtigung der Belange Alleinerziehender mit minderjährigen Kindern bei der Terminierung der Anhörung, die Durchführung einer sensiblen Anhörung aufgrund der Beanspruchung als alleinerziehender Elternteil sowie die Prüfung der Möglichkeit der vorrangigen Bearbeitung des Verfahrens.
Bereits seit 1996 setzt das BAMF flächendeckend speziell geschulte Entscheiderinnen und Entscheider ein, um den besonderen Bedürfnissen von vulnerablen Schutzsuchenden Rechnung zu tragen. Je nach Bedarf der Asylantragstellerinnen kommen Sonderbeauftragte für Unbegleitete Minderjährige, für Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung, für Folteropfer und Traumatisierte oder für Opfer von Menschenhandel zum Einsatz.
Die Bundesregierung stärkt zudem den Schutz vor Gewalt von geflüchteten LSBTIQ*, Frauen, Kindern und weiteren vulnerablen Personen in Flüchtlingsunterkünften und setzt dazu ihre vom BMFSFJ gemeinsam mit UNICEF und weiteren Partnern seit 2016 durchgeführte Initiative “Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften” fort. Der Schutz vor Gewalt bezieht sich dabei auf alle Formen von Gewalt, einschließlich geschlechtsspezifischer Gewalt. Im Rahmen der Initiative fördert das BMFSFJ seit 2019 unter anderem Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Gewaltschutz über das Projekt „Dezentrale Beratungs und Unterstützungsstrukturen für Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften“.
Die im Rahmen der Initiative entwickelten „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ dienen als Leitlinien für die Erstellung und Umsetzung von einrichtungsbezogenen Gewaltschutzkonzepten und liegen seit Oktober 2018 in dritter Auflage vor (https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/mindeststandards-zumschutz-von-gefluechteten-menschen-in-fluechtlingsunterkuenften/117474).



Diesen Beitrag teilen:
Nach oben scrollen