Rassismus und Verfassung – Debatte um den Begriff „Rasse“

Deutschlandweit sind am vorletzten Wochenende fast 200.000 Menschen auf die Straßen gegangen, um sich nach der brutalen Tötung von George Floyd mit der »Black Lives Matter«-Bewegung zu solidarisieren. So einen breiten Protest gab es – außerhalb der USA – in keinem anderen Land.

Die Solidarität auf den Straßen war bisher einmalig, und das macht Hoffnung, denn allzu oft werden Erfahrungen von Alltagsrassismus, »Racial Profiling« oder anderer Form der rassistischen Diskriminierung von der Mehrheitsgesellschaft so nicht wahrgenommen. Geschweige denn mit so vielen öffentlichen Solidaritätsbekundungen begleitet. Das war vor allem für uns, für Menschen, die diesen Alltagsrassismus erleben, ein wichtiges Zeichen.

Dennoch, es darf erst der Anfang gewesen sein. Denn die Solidarität auf den Straßen ist die Stimme von vielen. Der Kampf gegen den strukturellen und institutionalisierten Rassismus müssen wir nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Parlamenten führen. Ein notwendiger Schritt ist die Änderung des Grundgesetzes. Der Begriff der »Rasse« muss aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Statt dessen soll im Artikel 3 des Grundgesetzes ein Verbot »rassistischer« Diskriminierung eingefügt werden.

Für die Bekämpfung von Rassismus in Deutschland müssen wir das Fundament, auf dem unsere Gesellschaft steht und sich stets weiterentwickelt, dem zeitgemäßen Verständnis von einer modernen Einwanderungsgesellschaft anpassen.

Es ist längst überfällig, unseren Linken-Vorstoß, der 2010 erstmals in den Bundestag eingebracht wurde, wieder aufzunehmen und zu sagen: Das Grundgesetz muss an die moderne Einwanderungsgesellschaft angepasst werden. Die Vorstellung der Verfasserinnen und Verfasser von damals wurzelte, obwohl sie sich als bewusste Abgrenzung von der Naziideologie verstand, in einer über Jahrhunderte tradierten rassistischen Denktradition. Das müssen wir endlich korrigieren. Der Begriff »Rasse« hat in unserem Grundgesetz nichts zu suchen!

Das Konstrukt von »Rasse« ist das Ergebnis von Rassismus, der Vorstellung der Ungleichheit von Menschen auf Grund vermeintlicher biologischer Unterschiede oder Religionszugehörigkeit. Und ein Ergebnis des Kapitalismus, der unsere Welt seit Jahrhunderten strukturiert, und der auch den Hintergrund sämtlicher Kolonialverbrechen des 19. Jahrhunderts sowie der Sklaverei bildet. Eine Haltung wurde begünstigt, die bewusst einen Teil der Gesellschaft ungleich behandelt und diskreditiert, damit einige wenige von dieser Ungleichheit profitieren können.

Sowohl in der Wissenschaft als auch in der politischen Auseinandersetzung hat sich mittlerweile die Auffassung durchgesetzt, dass die Verwendung des »Rasse«-Begriffs zur Aufrechterhaltung von Rassismus beiträgt – auch wenn dies wie in Artikel 3 des Grundgesetzes in antirassistischer Absicht geschieht. Um dieser Erkenntnis Rechnung zu tragen, muss das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund der »Rasse« durch ein Verbot rassistischer Diskriminierung ersetzt werden. Wir legen diese Woche einen Gesetzesentwurf vor, der eine Streichung des Begriffs »Rasse« aus dem Grundgesetz vorsieht.

Das Diskriminierungsverbot ist ein Grundpfeiler für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Rassismus und rassistische Diskriminierung rütteln immer wieder an diesem Grundpfeiler. Wenn die AfD dieser Tage ernsthaft dafür plädiert, den Begriff »Rasse« beizubehalten, dann wissen wir einmal mehr, wer da in den Parlamenten sitzt und von dieser Ungleichheit profitieren will. Wer sich wählen lässt, um bewusst unsere Gesellschaft zu spalten. Und diese Spaltung aufrechtzuerhalten und voranzutreiben.

Als Linke wollen wir diese Ungleichheit bekämpfen. An Stelle des Begriffs »Rasse« muss im Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes das ausdrückliche Verbot von rassistischer Diskriminierung verankert werden. Denn wir kämpfen an der Seite jener, die alltäglich Rassismus erfahren müssen. Das Konstrukt »Rasse« muss raus aus dem Grundgesetz, denn nur so können wir schaffen, was längst überfällig ist: ein Schritt in die Richtung »Rassismus raus aus den Köpfen«.


Original aufrufen: https://www.jungewelt.de/artikel/380366.rassismus-und-verfassung.html


Diesen Beitrag teilen:
Nach oben scrollen