Zusammenarbeit des türkischen Staates mit dschihadistischen Gruppen und Kriegsverbrechen der türkischen Armee in Nordsyrien


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Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Gökay Akbulut, Dr. André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.

 

Zusammenarbeit des türkischen Staates mit dschihadistischen Gruppen und Kriegsverbrechen der türkischen Armee in Nordsyrien

Am 9. Oktober 2019 begann die türkische Armee nach dem Rückzug der US-Truppen von der türkischen Grenze eine Invasion in Nord- und Ostsyrien. Da­bei rückt die türkische Armee gemeinsam mit verschiedenen dschihadisti-schen Gruppen vor. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärt dazu: „Die türkischen Streitkräfte und eine Koalition von türkisch un­terstützten syrischen bewaffneten Gruppen haben während der Offensive in Nordostsyrien eine schändliche Missachtung des Lebens von Zivilist*innen an den Tag gelegt, indem sie schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegs­verbrechen begangen haben. Diese Verbrechen schließen Massenhinrichtun­gen, illegale Angriffe bei denen Zivilist*innen getötet und verletzt wurden ein.“ Kumi Naidoo, Generalsekretär von Amnesty International, erklärte: „Die türkische Militäroffensive im Nordosten Syriens hat verheerende Auswirkun­gen auf das Leben der syrischen Zivilbevölkerung. Sie musste aus ihren Häu­sern fliehen und lebt in ständiger Angst vor willkürlichen Bombardierungen, Entführungen und Massenhinrichtungen.

Die türkischen Streitkräfte und ihre Verbündeten haben eine vollkommen herzlose Missachtung zivilen Lebens an den Tag gelegt und rechtswidrig tödliche Angriffe auf Wohngebiete verübt, bei denen Zivilisten getötet und verletzt wurden.“ (www.amnesty.org/en/la test/news/2019/10/syria-damning-evidence-of-war-crimes-and-other-violati ons-by-turkish-forces-and-their-allies/). So richtete beispielsweise die Miliz Ahrar al-Sharqiya, die als Teil der von der Türkei unterstützten Syrischen Na­tionalen Armee (Suriye Millî Ordusu) agiert, die Politikerin und Frauenrecht­lerin Hevrin Xelef (auch Havrin Khalaf) extralegal hin (www.zdf.de/nachrich ten/heute/politikerin-und-frauenrechtlerin-havrin-khalaf-in-syrien-getoetet-10 0.html, https://southfront.org/turkish-backed-forces-execute-head-of-pro-sdf-s yrian-political-party/). In türkischen Medien wird berichtet, die Politikerin sei auf der Grundlage von Geheimdienstinformationen in einer „erfolgreichen Operation neutralisiert“ worden (www.takvim.com.tr/guncel/2019/10/12/pkkp ydye-ust-duzey-darbe-pydnin-suriyedeki-2-numarali-ismi-hevin-halef-etkisiz-hale-getirildi). Nach Angaben der Bundesregierung steht die Syrische Natio­nale Armee unter dem Kommando der Nationalen Koalition ETILAF bzw. der aus ETILAF hervorgegangenen „syrischen Übergangsregierung“ (Bundestags­drucksache 19/120). Nach Angaben des AKP-nahen türkischen Thinktanks

SETA besteht die Syrische Nationale Armee zum größten Teil aus dschihadis-tischen Gruppen wie Ahrar al-Sham, Ahrar al-Sharqiya, Faylaq al-Sham, Firka Hamza Firka Sultan Murad, die Free Idlib Army, Jabhat al-Shamiya, Jaysh al-Islam, Jaysh al-Ahrar, Jaysh an-Nasr, Jaysh al-Sharqiya und Jaysh al-Nukhba. SETA räumt damit offen die Verbindung der türkischen Regierung und von ETILAF mit dschihadistischen Gruppen ein. Die SETA-Stiftung schreibt sogar: „Mit der vollen Integration von Ahrar al-Sham, Suqour al-Sham und Failaq al-Sham in die Nationalarmee hat die Nationale Armee nun eine Inghimasi-Einheit hinzugewonnen, dabei handelt es sich um Stoßtruppen, die ohne eine Rückzugsstrategie feindliche Linien infiltrieren, um im Kampf zu sterben.“ Nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller handelt es sich hier um eine euphemistische Umschreibung dschihadistischer Selbst­mordattentäter (https://setav.org/en/assets/uploads/2019/10/A54En.pdf). Diese Einheiten seien von der türkischen Regierung in Luftlandeoperationen und an­deren militärischen Aktivitäten ausgebildet worden (Die Bundesregierung unterstützte ETILAF nach eigenen Angaben allein zwischen 2016 und 2017 mit 5.452.360,78,– Euro, vgl. Bundestagsdrucksache 19/1471.). Neben Grup­pen der Syrischen Nationalen Armee beteiligen sich nach Angaben aus der Region auch Dschihadisten aus den Reihen des Al-Qaida-Ablegers Hayat Tahrir al-Sham (HTS) an der Operation. HTS-Chef Abu Muhammed al-Golani verkündete ebenfalls seine Unterstützung für die Operation in der Region und erklärte, das Land gehöre „sunnitischen Arabern“ (https://twitter.com/i/status/ 1181957745861447686).

Es häufen sich Berichte von ehemaligen Mitgliedern des sog. Islamischen Staates (IS), die durch protürkische Milizen in Nordsyrien und der Türkei rekrutiert und dann gegen die Selbstverwaltung in Nordsyrien eingesetzt wer­den (https://rojavainformationcenter.com/2019/08/database-over-40-former-isi s-members-now-part-of-turkish-backed-forces/). Die Ankündigung von mut­maßlichen Mitgliedern der Nationalen Armee, „den Apostaten die Köpfe ab­zuschneiden“, unterscheidet sich nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller in keiner Form vom Vorgehen des IS (www.dailymail.co.uk/news/ article-7593053/Turkey-backed-militia-vow-behead-infidel-Kurd-northern-Sy ria.html).

Die Zusammensetzung und das Agieren der sogenannten Syrischen Nationa­len Armee ist nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller vor dem Hintergrund der bisherigen Förderung von ihnen nahestehenden Organisatio­nen wie ETILAF und deren Anerkennung als „einzig legitime Vertretung des syrischen Volkes“ durch die Bundesregierung (Bundestagsdrucksachen 19/1471, 19/6817) sowie der Zusammenarbeit mit der Türkei im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens von großer Bedeutung für die Bundespolitik.

Der Generalsekretär von Amnesty International erklärte: „Die Türkei ist für die Aktionen der von ihr unterstützten syrischen bewaffneten Gruppen verant­wortlich, sie unterstützt, bewaffnet und leitet diese. Bisher hat die Türkei die­sen bewaffneten Gruppen freie Hand gelassen, um schwere Verletzungen in Efrîn und anderswo zu begehen. Wir fordern die Türkei erneut auf, Verstöße zu beenden, die Täter zur Verantwortung zu ziehen und die unter ihrer Herr­schaft lebenden Zivilisten zu schützen. Die Türkei kann sich der Verantwor­tung nicht entziehen, indem sie die Begehung von Kriegsverbrechen an be­waffnete Gruppen auslagert“ (www.amnesty.org/en/latest/news/2019/10/syria-damning-evidence-of-war-crimes-and-other-violations-by-turkish-forces-and-t heir-allies/).

 

 

Antwort der Bundesregierung

-siehe Anfragedokument –

 


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