Positionspapier für ein Bundespartizipationsgesetz von Gökay Akbulut
Gleiche Teilhabe für Menschen mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Dienst ermöglichen – Bundespartizipationsgesetz einführen
Menschen mit Migrationsgeschichte werden in Deutschland seit Jahrzehnten in allen Lebensreichen strukturell diskriminiert und sind von unterschiedlichen Ausschlussmechanismen betroffen. Rassistische Strukturen und von Stereotypen geprägte Denkweisen in gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen spielen dabei eine zentrale Rolle. Das betrifft neben dem Arbeitsmarkt unter anderem auch den Wohnungsmarkt und den Bildungsbereich. Das und der teilweise begrenzte Zugang zu Sozialleistungen tragen unter anderem dazu bei, dass Menschen mit Migrationsgeschichte besonders häufig unter prekären Bedingungen leben und arbeiten müssen. Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit wurden in Deutschland trotz der vielfachen Forderungen dazu aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft bisher nicht hergestellt. Viele Menschen mit Migrationsgeschichte sind darüber hinaus von politischer Teilhabe durch Wahlen weitgehend ausgeschlossen. Mangels deutscher Staatsbürgerschaft steht 9,7 Millionen volljährigen Menschen in Deutschland das allgemeine Wahlrecht nicht zu. Zudem sind in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen, sei es in der Politik, Verwaltung oder der Wirtschaft, Menschen mit Migrationsgeschichte gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil deutlich unterrepräsentiert. Studien belegen, dass Diskriminierungserfahrungen aufgrund von rassistischen oder ethnischen Zuschreibungen im Arbeitsleben eine besonders große Rolle spielen. Wenn aber wesentliche Teile der Bevölkerung, sei es mangels hinreichender Möglichkeit politischer Einflussnahme oder mangels Repräsentanz in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen, nicht an gesellschaftlich wichtigen Entscheidungsfindungen beteiligt werden, obwohl sie von ihren Auswirkungen unmittelbar betroffen sind, ergibt sich ein erhebliches Demokratiedefizit.
Öffentliche Dienst muss Spiegelbild der Gesellschaft werden
Bundesverwaltung als einem der maßgeblichen Arbeitgeber im öffentlichen Dienst nur bei zwölf Prozent. Eine Person hat laut Definition des Statistischen Bundesamtes einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Erhebungen zu allen Menschen, die wegen ihrer Migrationsgeschichte oder (vermeintlichen) Herkunft, Religion oder Hautfarbe von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind, liegen bisher nicht vor. Unabhängig von diesen statistischen Erhebungsproblemen ist die deutliche Unterrepräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte und rassistisch diskriminierten Menschen in zentralen gesellschaftlichen Bereichen nicht akzeptabel und entspricht nicht der Lebenswirklichkeit Deutschlands als Einwanderungsland. Die Bundesverwaltung wird dadurch ihrem eigenen Anspruch im Hinblick auf ihre Legitimations- und Vorbildfunktion und ihre Funktionalität nicht gerecht. Sie kann in der Bevölkerung nur auf Legitimität und Akzeptanz hoffen, wenn sich in ihr alle Bevölkerungsgruppen wiederfinden und der Staat das demokratische Versprechen gleicher Teilhabe auch selbst einlöst. Das gelingt ihr aber schlechter als der Privatwirtschaft, in der der Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund bei 26,2 Prozent liegt. Allerdings besteht auch dort in den Führungspositionen eine deutliche Unterrepräsentanz und Beschäftigte mit Migrationshintergrund sind überdurchschnittlich häufig prekär und nicht entsprechend ihrer Qualifikation beschäftigt. Das gleiche Bild ergibt sich im Hinblick auf die Bundesverwaltung, in der die migrationsgesellschaftliche Vielfalt in der Einstiegsstufe am höchsten ist und mit jeder Karrierestufe
Der öffentliche Dienst ist neben dem Parlament und der Wirtschaft einer der wesentlichen Bereiche, in denen gesellschaftlich relevante Entscheidungsprozesse vorbereitet werden und stattfinden. Mit seinen 4,65 Millionen Beschäftigten organisiert der öffentliche Dienst einen Großteil der öffentlichen Infrastruktur und ist der größte Arbeitgeber Deutschlands. Die Bundesverwaltung beschäftigt rund 500.000 Menschen, die migrationsgesellschaftliche Vielfalt spiegelt sich hierbei jedoch nicht wider. Obwohl Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland einen Bevölkerungsanteil von 26 Prozent ausmachen und bei Denjenigen im erwerbsfähigen Alter sogar 27,1 Prozent, liegt ihr Anteil bei den Beschäftigten in der abnimmt. Auch hier sind die Beschäftigten mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich häufig überqualifiziert und befristet beschäftigt und werden bei Beförderungen benachteiligt. Die Verwaltung als öffentlicher Dienstleister kann ihre Aufgaben aber auch nur dann effektiv erfüllen, wenn sie die verschiedenen Lebensrealitäten und Perspektiven in der Bevölkerung kennt.
Es braucht einen Nachteilsausgleich für Menschen mit Migrationshintergrund
Bereits im Jahr 2011 hatte sich daher die Bundesregierung im Rahmen des „Nationalen Aktionsplans Integration“ auf die „Erhöhung des Anteils der Migrantinnen und Migranten im öffentlichen Dienst“ als strategisches Ziel verständigt. Allerdings hat sie bis heute keine effektiven Maßnahmen und Instrumente etabliert, um die geschilderten Missstände zu beenden. Um die Teilhabe und Repräsentanz von Menschen mit Migrationsgeschichte und rassistisch diskriminierten Menschen in der Bundesverwaltung zu verbessern, bedarf es deshalb eines Bundespartizipationsgesetzes, das effektive Instrumente zu ihrer Förderung und zum Nachteilsausgleich vorsieht, wie es Migrant:innenselbstorganisationen schon lange fordern. Dass freiwillige Verpflichtungen oder allgemeine Zielbestimmungen kaum Veränderungen bewirken, ist aus den Erfahrungen im Bereich der Frauenförderung bekannt. Auch die Evaluation zum Berliner Partizipations- und Integrationsgesetz hat ergeben, dass die alleinige Zielbestimmung der Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil ohne verbindliche Instrumente kaum Verbesserungen gebracht hat. So resümiert der Evaluationsbericht, dass das Gesetz mangels verbindlicher mit Ressourcen unterlegter Umsetzungsinstrumente wenig Effekte hatte. In dem zu beschließenden Bundespartizipationsgesetz sollte die zu fördernde Zielgruppe von Menschen mit Migrationshintergrund zusätzlich auf Menschen mit Migrationsgeschichte und rassistisch diskriminierte Menschen erweitert werden, um alle von rassistischer Diskriminierung Betroffenen zu umfassen. Denn auch Menschen aus Familien, die seit Generationen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, werden beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert. Um fördernde Bewerbungsverfahren und Einstellungsquoten einführen sowie gezielt Schulungen und Fortbildungen anbieten zu können, müssen Merkmale zum Migrationshintergrund bei den Beschäftigten und Bewerber:innen der Verwaltung auf freiwilliger Basis erhoben werden. Zur besseren Umsetzung dieser Maßnahmen in der Personalpolitik ist zudem die Etablierung von Partizipationsbeauftragten in den Dienststellen erforderlich. Damit sich die Vielfalt der Gesellschaft auch in den Unternehmen und ihren Führungsebenen widerspiegelt, sind für Betriebe mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes und bei der öffentlichen Auftragsvergabe an Privatunternehmen Vorgaben für eine diversitätsorientierte Organisationsentwicklung vorzusehen.
Deshalb braucht es ein Bundespartizipationsgesetz, das gleiche Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte und rassistisch diskriminierten Menschen in der Bundesverwaltung regelt.
Forderungen
Das Bundespartizipationsgesetz muss alle Menschen berücksichtigen, die strukturell diskriminiert werden. Das sind neben Menschen mit Migrationshintergrund, wie vom Statistischen Bundesamt definiert, alle Menschen mit Migrationsgeschichte und rassistisch diskriminierte Menschen, damit auch Personen, die beispielsweise schon seit mehreren Generationen in Deutschland leben und deutsche Staatsangehörige sind, aber etwa wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert werden, von den Fördermaßnahmen profitieren können.
Dazu braucht es einen durchsetzbaren Anspruch, der insbesondere für Beschäftigte mit Migrationshintergrund Schulungen und Fortbildungen vorsieht, die ihrer beruflichen Weiterentwicklung und dem Ausgleich diskriminierender Benachteiligungen dienen.
Es braucht nachhaltige Pläne, die vorsehen, dass jede Dienststelle der Bundesverwaltung mindestens alle zwei Jahre eine Bestandsaufnahme zur Beschäftigungsstruktur und zur Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund vornimmt. Außerdem sollten mindestens alle vier Jahre Förderpläne erstellt werden, die festlegen, wie eine gleiche Teilhabe und Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund in der jeweiligen Dienststelle erreicht werden können.
Arbeitsplatzvergabe
Bei Stellenausschreibungen muss eine ausdrückliche Erklärung über die Förderung von Menschen mit Migrationsgeschichte und rassistisch diskriminierten Menschen und der Vorgaben erfolgen, um diese Personengruppe besser zu erreichen.
In Bewerbungsverfahren für Funktionsebenen und Besoldungsgruppen, in denen eine Unterrepräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund festgestellt wurde, müssen so viele Menschen mit Migrationshintergrund zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden, wie es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht.
Migrationsgesellschaftliche und rassismuskritische Kompetenzen müssen bei der Ausbildungsplatzvergabe und bei Ausbildungsübernahmen sowie bei Einstellungen und Beförderungen positiv berücksichtigt werden.
Bis der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund in der betreffenden Funktionsebene und Besoldungsgruppe ihrem Anteil an der Bevölkerung, bei der Ausbildungsplatzvergabe und bei Ausbildungsübernahmen sowie bei Einstellungen und Beförderungen entspricht, muss geregelt werden, dass Menschen mit Migrationshintergrund unter Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit und bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung wie Mitbewerbende ohne Migrationshintergrund bevorzugt eingestellt, übernommen und befördert werden.
Partizipationsbeauftragte
Es braucht in allen obersten Bundesbehörden und jeder Dienststelle mit mindestens 100 Beschäftigten ein:e Partizipationsbeauftragte:r. Es muss eine Stellvertretung gewählt und für kleinere Dienststellen Vertrauenspersonen bestellt werden, um den Vollzug des Bundespartizipationsgesetzes sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Hinblick auf den Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligungen aus rassistischen Gründen oder wegen „der ethnischen Herkunft oder Religion“ zu fördern und zu überwachen;
Monitoring und Sicherung der Ziele eines Partizipationsgesetzes
Jede Dienststelle sollte mindestens alle vier Jahre anonyme und freiwillige Mitarbeitendenbefragungen zur Situation von Menschen mit Migrationsgeschichte sowie zu Diskriminierungs- und Rassimuserfahrungen vornehmen, die Ergebnisse auswerten und auf dieser Grundlage Konzepte zur Umsetzung des Gesetzesziels und für eine migrationsgesellschaftlich ausgerichtete und diskriminierungsfreie Organisationskultur entwickeln. Die Regelungen des Gesetzes sollten auf Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des Bundes ebenfalls angewandt werden.
Es müssen Vorgaben für Betriebe mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes gemacht werden, die sicherstellen, dass die Ziele und Maßnahmen des Bundespartizipationsgesetzes beachtet und umgesetzt werden.
Mittelbare Wirkung durch Förderung der Partizipation bei Vertragspartner:innen
Im Rahmen von öffentlichen Auftragsvergabeverfahren eine Vergabe an Auftragnehmende davon abhängig macht, ob sie in ihrem Unternehmen Maßnahmen zur Förderung von Menschen mit Migrationsgeschichte und rassistisch diskriminierten Menschen sowie für eine diversitätsorientierte und diskriminierungsfreie Organisationsentwicklung durchführen;
Bei der Besetzung von Gremien, an denen der Bund beteiligt ist oder auf dessen Besetzung er Einfluss hat, muss er dafür Sorge tragen, dass Menschen mit Migrationshintergrund entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung bei der Zusammensetzung des jeweiligen Gremiums repräsentiert sind.
Berichtspflicht
Die Bundesregierung dem Bundestag unter Beteiligung der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration mindestens alle vier Jahre einen Bericht zur Umsetzung der Ziele dieses Gesetzes vorzulegen.